Schreiben? Im stillen Kämmerlein? Nicht meine Stärke. Ich brauche Input und Erlebnis, vielleicht auch Herausforderung, oder einfach das Mindestmaß an Adrenalin, das sich einstellt, wenn der Zug, mit dem man das Flugzeug erreichen will, wegen einer „größeren Oberleitungsstörung) plötzlich stehen bleibt.
Dann läuft aber alles weiter. Am Ende tritt die Langeweile ein, die sich am Gate einstellt.
Im Flieger treffe ich einen Rollenspieler, Pfleger will er werden. Eine Dreistundenfreundschaft. Am Ende habe ich gelernt, was er so liest, nicht aber, wie er heisst. Man wird sich nicht wieder treffen.
Lissabon oder Lisboa, wie
man hier sagt … Vom Zeitpunkt der Landung beginnt die Magic. Ich spreche die Sprache nicht, kenne die Umgebung nicht und werde denn noch von einer Welle aus angenehm unaufdringlicher Hilfsbereitschaft an mein Ziel getragen. Flugzeug, Bus, Flughafengebäude, Metro… Das alles fließt an mir vorbei, wie im Zeitraffer, während ich nicke, danke und laufe. Der U-Bahnticketautomat, der kaum barrierefrei ist, wird mir eben so erklärt, wie die Anzahl Stationen, die ich fahren muss und hier zeigt sich der Vorteil des Platformkapitalismus amerikanischer Prägung. Visa, Apple iPhone, Google Maps, all das ist für alle so alltäglich, dass Kommunikation problemlos auch fast ohne Worte und Blicke funktioniert. Wo der Mensch begrenzt wird, übernimmt die Technik, wo Sprache endet hilft der Google-Translator und Chat GPT hilft freundlich und gewohnt militärisch zackig, die Gate Nummer für den Flug zu finden. Nein, abgewöhnen kann ich ihm das soldatische wohl nicht mehr.
Die Ankunft im Hostel ist immer so ein Moment von „Willkommensein“ und Entspannung. Denkste.
Etwas ratlos meint die Passantin, das ist das einzige hier. Frag‘ mal drinnen.
Nur das drinnen niemand ist, außer … „Der Duft der Frau“. Und das plätschern einer Dusche. Sofort geht das Kopfkino an, aber erstmal stolpere ich durch ein vollgestelltes Wohnzimmer, finde Küche und Eben das Bad mit der duschenden Frau, aber weder Rezeption noch Bett. Der Fuß, den ich mir auf meinem ersten Marathon ohne Vorbereitung vor Wochen gebrochen hatte, sagt mir jetzt, dass ich dafür keinen Deichmannbüroschuh hätte verwenden sollen. Schmerz knippst das Kopfkino aus und lässt mich schwer auf das Sofa sinken. Der Magen wiederum sagt, dass es eine weitere Istwert-sollwert-Abweichung gibt, die ich mich entweder enscheiden kann um diese späte Uhrzeit zu ignorieren, oder … Google …
Ich muss das kurz erklären. Wenn man behindert ist und das war Häuptling Brokenfoot gleich doppelt, gibt es immer ein gewisses Risiko des Scheiterns. Google Daten sind fehlerhaft, das Smartphone alle, der Fuß zu schmerzhaft, oder die Leute hassen Touristen. All dies ist unwahrscheinlich aber möglich. Und so gab es die Frage, ob ich meinen Hunger einfach ignorieren sollte. Aber das mit dem Ignorieren von Körpersignalen habe ich vor Wochen teuer bezahlt und so erinnert mich der Fuß an die Bedürfnisse des Magens. Schon toll, wie die Gemeinschaft der Organe und Körperteile für einander sorgt und Partei ergreift. Als ich fertig mit Googeln bin erhebe ich mich, schleiche nochmal durch die kleinen Räumlichkeiten und finde einen Raum mit zwei Stockbetten. Mein Rucksack hat seine letzte Ruhe für heute gefunden. Als ich die Tür des kleinen Dorms zuklappe, stehe ich ziemlich unerwartet im Flur und … Jepp. Das Kopfkino hat nicht zu viel versprochen. Es hat aus der langen Dauer des Duschplätscherns und dem Duft des Duschgels abgeleitet, dass es sich um eine junge Frau nach größerer körperlicher Anstrengung handelt. Und da steht sie nun. Etwas erschrocken, aber prinzipiell freundlich. Lea, 24 wandert mit einem 24 kg Rucksack durch Portugal und zieht morgen nach Malle weiter, wo sie, „Kopfkino aus!“ ihren Freund trifft. Später beim Stockbettgeflüster mit Maren und Lea werde ich noch lernen, dass sie kein Rückflugticket hat, während ihre Ex-Schwiegereltern auf ihren vierjährigen Sohn aufpassen. Urteile erst über jemanden, wenn Du 42 km in seinen völlig ungeeigneten Deichmanntretern gelaufen bist.
Dass ich den Rucksack allein zurück lasse, fühlt sich trotz fehlender Türverriegelung natürlich an und so gerät der Weg zum Restaurant zur völlig normalen Unternehmung in fremder Umgebung powered by Google.
Angenehm finde ich immer wieder das Zurückgeworfensein auf die unteren Ebenen der Maslow-Pyramide. Schutz, Nahrung, Gesellschaft mit wohlduftenden Frauen. Entsprechend sind der Mensch in den netten, kleinen Restaurant und ich uns nach kurzem Dialog einig und so gibt es Brot, Oliven, Schweinemedallions, Reis und auch international, Pommes und … Wasser. Auch hier ein Wort der Erklärung. In Portugal essen die Leute Fleisch oder Fisch. Lahm und Blind wie ich bin, werde ich jetzt nicht anfangen, meine Ernährungspräferenzen darzulegen. Ich bin schon special genug und wo ich mir die Illusion erhalten kann, da füge ich mich gerne unauffällig ins Straßenbild ein und esse halt draussen Fleisch, um die nächsten acht Tage in tameranischer Kooperation mit allem, was atmet, vegan zu leben. Auf dem Rückweg muss ich einige Überzeugungsarbeit leisten, um nicht von einem der anderen Gäste per Anhalter mitgenommen zu werden. Schließlich komme ich wieder zu Hause an.
Lea und jetzt auch Maren, di mit mir das Dorm teilen, sind noch wach und anwesend. Es folgt der Austausch der Reiseabschnittsgefärten, die morgen alle unterschiedlichen Zielen entgegen gehen. Dauerhaft bleiben wird hier keiner von uns. Zufrieden und tatsächlich ein wenig stolz schlafe ich ein, nachdem ich meine Kreditkarte temporär gesperrt habe. Selbst wenn di Tür offen bliebe, wäre das maximale Verlustrisiko jetzt 80 Euro. Das ist angesichts des erwarteten Schlafes ein attraktives Chancerisikoprofil. Ich wusste, dass ich all das schaffen würde, es aber tatsächlich zu tun und zu erleben, ist etwas völlig anderes als davon zu lesen oder ein Video zu schauen. Deshalb mein Rat, weg von der Glasplatte und raus in die Welt und das Erleben.
Gute Nacht.