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  • Tag 5 – Meeting the Guru

    Ich liege im Bett und will nicht aufstehen. Nichts, was da heute auf dem Programm steht inspiriert mich. Die Blase allerdings läßt sich von meiner latent depressiven Stimmung nicht anstecken. Sie schafft eine Vision für die ganze Gemeinschaft meiner Organsysteme und Körperteile. Sie alle wirken zusammen, für einen Körper ohne Druck. Im Dienste der Wachheit…

    Das Frühstück verläuft erfreulich, denn ich treffe sowohl die deutsche Ajda mit den vielen Namen, als auch Miguel mit den wenigen Worten wieder. Zusammen ergibt das eine Mischung von Freude und Weite, die mich das nächste Israel- Palästina Pannel wird ertragen lassen. Ich freue mich einfach, Menschen wieder zu treffen, von ihnen erkannt zu werden und sie wieder zu erkennnen. Vertrautheit. Vertrauen, Kontakt, Solidarität. „Und sie erkannten sich – Das Ende der sexuellen Gewalt“ So ein Buchtitel von Sabine und Dieter. Ich ahne, was das bedeuten könnte.

    In der Morgenveranstaltung entschuldigt sich Martin für seine heftige Reaktion von gestern, nur um gleich nachzulegen und nochmal zu bestätigen, er habe inhaltlich recht. Hier wäre der Punkt gewesen, die Frau von gestern nochmal in die Mitte zu holen denke ich, muss aber hinzufügen, dass es gestern noch einen Kreis zur Nachberbeitung des Kreises gegeben hat. Wem bei all diesen Kreisen schwindlich würde, der wäre jedenfalls bei mir in guter Gesellschaft. Und auch wer meinte, es könne vorkommen, dass man nicht voran komme, bei all den Kreisen, auch dem gäbe ich meine Zustimmung. Also… Mehr Palästina, mehr Ayda und weniger Uri. Schließlich ruft Ayda zum Kampf, wenn auch gewaltfrei. Egal. Am Ende dieses Pannels erreicht mein Deprimeter den orangeroten Bereich. Jetzt noch Kleingruppe? Ernsthaft. Meine Töchter würden schlicht sagen: „OMG als ob!“

    Ich überwinde mich und die Beiträge sind tatsächlich in ihrer Vielschichtigkeit schwer wieder zu geben. Im Gedächtnis bleibt Freya, die früher die Pferde gemacht hat. Eine schöne, stille Frau, die mir schon vor sieben Jahren aufgefallen war. Sie lebt nicht mehr hier. Liebe sagt sie, sei verschieden, Menschen Individuen und nicht alle erfüllten die hohen Ansprüche des kollektiven Dogmas. Uff…

    Bei Mittagessen sitze ich mit Martin und Alex zusammen und quatsche über die Börse und Cryptotrading. Endlich mal was produktives und überhaupt… Alex hat mit seinen 60 Jahren diverse Firmen gekauft, großgezogen und auch dann und wann wohl vor die Wand gefahren, wie er erzählt. Trading mache er eigentlich wegen der Selbsterfahrung mit Gewinn und Verlust und ansonsten, scheint er finanziell frei auf Malle zu residieren. Depression gibt’s halt auf unterschiedlichem Niveau. Das aber war sein Wort, nicht meines. Gleichzeitig … Wirkt der Mann inspirierend und fröhlich. Na, man schaut ihm halt nur vor den Kopf. Er lädt mich ins Cafe ein, aber ich brauche eher kühles Nass, als veganen Kuchen.

    Und so verbringe ich die Zeit am See. Und…. Tatsächlich! Zwei junge Menschen differierenden Geschlechts, die … Oh, mein Gott! Beim heiligen Eros! Vorsichtig flirten.

    Dem Rhythmus folgend… Gibt’s mal wieder den 16 Uhr Kreis und für den Chor haben sie hier immer noch eine goldene Schallplatte verdient meine ich. Dann aber… Kommt er auf die Bühne. Angekündigt als das göttliche Licht, welches sich selbstverständlich in jedem von uns manifestiert, wird er immer noch mit seinem nicht bürgerlichen Rufnamen Delon angesprochen.

    Die Stimme brüchig, die Jahreszahlen eher großzügig schätzend als präzise rechnend, wirkt er anfangs noch etwas unsortiert. Doch mit jedem Satz den er spricht ist ein Feuer unverkennbar und trotz eines geschwächten Körpers und eines um Klarheit kämpfenden Geistes ungebrochen. Dieser Mann mag die 80 Jahre geknackt haben, die Inspiration, die ihn seit 1976 getragen hat, ist trotz langer Krankheit das erhebenste, was ich in diesen vier Tagen erleben darf. Da sitzt sie, die Liebe fürs Leben, den Eros, die heilige Matrix und eine Erde frei von Gewalt, Angst und Eifersucht, man nimmt es ihm irgendwie ab. Um so deutlicher drängt sich ein Gedanke in den Vordergrund meines Bewusstseins.

    Wo ist der Eros? Am See habe ich zwei Menschen flirten sehen. Aber sonst? Ich kaue die Frage herum und dann halte ich das Mikro in der Hand und Frage: „Mystische Erlebnisse und der Eros verblassen im Alltag. Was kann man tun?“

    Dieters Antwort von Liebe getragen, wohl aber mit etwas Humor und Ironie gewürzt, klingt so simpel wie einleuchtend. „Ihr müsstet es einfach tun.“ Jemand will wissen, wie eine „koherente Gruppe“ von 30 Leuten Realität werden könne. Und seine Antwort lautet ähnlich. Ein halbes Jahr unbedingter Hingabe und klarer Solidarität für einander. Ich paraphrasiere hier. Am Ende wird gesungen und die Leute stehen und wippen mit. Insgesamt fühlt sich das alles leichter an.

    Dieser Mann hat tatsächlich eine religiöse Tiefe. Der Kontrast zum tränenschweren Herumrühren der letzten Tage könnte nicht schmerzhafter und erhebender zu gleich sein.

    Nach der Veranstaltung weiss ich wo ich hingehöre. Der Steinkreis. Ich bin – warum eigentlich? – allein. Alles schweigt. Die Sonne brennt mir ins Gesicht. Die Hitze des Steins läßt mich noch das letzte Bisschen Palästinajammern ausschwitzen und dann wird es still. Was ist zu tun? Wo ist meine Aufgabe für die nächsten Jahre. Die Vögel, Grillen und sonstigen Tiere machen aus diesem kargen Stück Land etwas anderes als eine Wüste. Für mich aber ist es ein Wüstenmoment.

    Treu und pünktlich beim Abendessen habe ich ein Gespräch, dass ich gerade kaum erinnere. Danach schleiche ich unschlüssig über den Campus. Hundesanktuarium verpasst, wilde Party im Nachbartal in Sachen Fuß keine gute Idee und gerade sowieso nicht mein Ding. Also… Schleiche ich ohne große Lust auf weiteren menschlichen Kontakt an der Bar vorbei. Und ja richtig. Da sind sie wieder und haben lauter Fragen. Ich könnte einfach Stunden lang mit den Kindern hier sprechen. Dann aber höre ich Bruno weinen und obwohl er ständig von seiner Großmutter weg getragen wird, führen mich meine Schritte zu seiner Mutter. Wenig später sitze ich mit drei Generationen inklusive dem sieben Monate alten Bruno am Tisch. Die Großeltern Ulrike und Gottfried. Zwei der fünf Kinder leben hier und eben Frau und Bruno. Der Abend wird sowohl lustig als auch intereessant und Gottfried ist einer der inspirierensten älteren Herren, die ich getroffen habe.

    Er begleitet mich noch Richtung zu Hause und ich kehre Heim mit einem zutiefst zufriedenem inneren Kind, das erleben durfte, dass es gesunde, intakte Familien in Tamera gibt und geben kann/darf. Und wie sagte Gottfried so schön. Wir sind seit 54 Jahren verheiratet. Wir haben unsere Beziehung geöffnet, aber das ist gerade nicht sehr relevant. Amen.

  • Tag 4 – Pilgern gegen den Genozid

    Ich wache früh auf an diesem Tag und denke darüber nach den Sonnenaufgang im Steinkreis zu erleben. Das tue ich solange, bis die Sonne aufgeht. Denken ist wie tatsächlich tun, nur langsamer. Ich stehe trotzdem auf und nehme mir vor, den Steinkreis auf eigene Faust zu finden. Mein Handy sagt ich umkreise den Steinkreis, statt darauf zu zu laufen, bis ich irgendwann aus der Kurve fliege, nein laufe und plötzlich denke ich, ich seh‘ ’nen Pferd. Nein zwei und eigentlich auch hören. Langsam komme ich auf die beiden zu und schließlich darf ich eins über Nase und Stirn streicheln. Uns trennt kein Zaun, nur ein Elektrozaun, den die beiden leicht überspringen könnten, wenn sie wollten. Die aber bleiben in der Vormittagswärme stehen und bewegen sich nur soviel wie gerade nötig.

    Ich laufe weiter zum Akron. hier wohnen Teile des inneren Zirkels. Ich schmeisse einen GPS-Brotkrumen in die Landschaft und will gerade wieder gehen, da treffe ich Majana, die ich vor Jahren bei meinem Vater traf. Es gibt sie, diese alten Verbindungen. So jung denke ich, kommen wir nicht mehr zusammen. Letztes mal, waren wir jedenfalls beide noch jünger. Wir wechseln ein paar Worte, dann verabschiede ich mich und versuche Durst und Hitze zu entkommen.

    Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es zur Aula. Hier werden vier Menschen aus der Gemeinschaft berichten und ein Problem benennen, das wohl früher schon zu Spannungen geführt haben muss. Viele Menschen haben, so berichten diese vier mutigen Menschen, die Gemeinschaft verlassen, oder zögen sich ins Private zurück, auch wenn sie innnerhalb der Gemeinschaft lebten. Schließlich sagt Benjamin er habe sich als Vater oft allein gefühlt. Alles eine Frage der Perspektive und der sonstigen Ansprüche denke ich. Wie schwer es ist, neben der Pflege des Landes und der Kinder die Welt vom Frieden zu überzeugen, wird sich später zeigen.

    Das Mittagessen verläuft in gewohnten Bahnen. Ungewohnt dagegen ist, dass ich eine Einladung zu einem ganz versteckten Badeteich bekomme, wo ich den Nachmittag verbringe. In der Zwischenzeit lerne ich ein paar weitere Kinder kennen und muss wirklich sagen: „Chapeau. Di sind toll geworden.“

    Schließlich kommt, was kommen muss, der global denglisch white leftist circle und… Jepp. Israel/Palästina oder links herum verkürzt: „Völkermord“. Richtig aber auch nur eine Seite der Wahrheit. Denn könnte die Hamas sie würde den Staat Israel vernichten. Vielleicht stelle ich mich morgen damit in die Mitte. Heute aber, lässt jemand anderes sich für eine ungeschickte Relativierung der deutschen Kolonialzeit in Namibia steinigen. Gut, was das mit dem Thema zu tun hat, ist mir zu diesem Zeitpunkt unklar, das aber haben wir in dieser Runde auch nicht mehr erfahren könnnen. Dass direkt betroffene überreagieren verstehe ich, dass andere gleich einem Schlachtruf „Not in my name!“, grölen, um sich in Lager der Genozidverurteiler zu verorten… Nu ja. Man tut kund‘ sich einem Friedensmarsch nach Gaza anschließen zu wollen und die Welt ist gleich in mehrfacher Hinsicht nicht in Ordnung. Noch Abends in der Bar wird man über diesen Zusammenstoß reden.

    Ich aber bleibe vor dem Abendessen für mich und treffe mehr zufällig einen wirklich spannenden Gesprächspartner. Wenn man im gegenwärtigen Augenblick bliebe, könnten Antworten aus dem Herzen entstehen, die man im Diskurs nicht finden könne. Miguel aus Belgien stammend, hat in England und Portugal gelebt und spricht als hätte er Thich Nath Hanh selbst verspeist. Die wohl inspirierenste Begegnung bislang.

    Beim Essen treffe ich Robert. Der mir alles über körperzentrierte Gartenwerkzeuge und Tiny Gardening erzählt. Ich fühle mich etwas wie Ali im Wunderland, bin aber dankbar, dass er mich mitnimmt in die Welt eines Bauern, der auf wechselnde Niederschlagsmengen ebenso reagieren muss, wie auf deutlich schwankende Angebote von Arbeitskräften.

    In der Bar ermutige ich eine wirklich nette Dame zum Thema Makuladegeneration und Blindheit im Allgemeinen. Wenn es das ist, was ich der Welt gerade jetzt geben kann.

    Zufrieden suche ich meinen Heimweg, schreibe und lege mich beim Rauschen eines Lüfters und großer Hitze schlafen.

    man Beim Essen

  • Tag 3 – Im Dienste der Wärme …

    Abends war es warm, Nachts war mir kalt. Deshalb war an diesem Tag die erste Frage: „Wieviel Hülle brauche und will ich?“ Mit „Hülle denke ich, kann nicht nur Kleidung gemeint sein, sondern alles, was ich meinem Körper oder Selbstbild an Schichten hinzufügen, die nicht Teil des nackten Jetzts sind. „Ich bin…“, sind oft Aussagen über mich selbst. Ich selbst wäre auch, ohne dass drauf hingewiesen, erklärt oder behauptet werden müsste.

    Ich entscheide mich für zwei Schichten Stoff, einen Buddha-Anhänger, einen Ring, einen Stock, ein iPhone, eine Sandale und einen Aircast. Lieber wäre mir barfuß im Tai Chi Dress. Aber der Fuß! Auch die zweite Bowl Frühstück fühle ich, ist eine Schicht drüber, zu viel des sehr leckeren.

    Anschließend also Treffen in der Aula. Und hier sagt sie ihn, den Satz, der mich her gebracht hat, der mich immer wieder festhält. Er könnte lauten: „Zum Wohle aller Wesen.“, das Wäre buddhistisch/abstrakt. Hier wird’s körperlicher: „Im Dienste der Wärme, für alles was Haut und Fell (Federn und Schuppen, Chitinpanzer und Exoskellette hat). Nein, Scherz beiseite.

    „Im Dienste der Wärme für alles, was Haut und Fell hat. Im Namen aller Kreatur.“ So stand es damals vor fast 40 Jahren an der Hauswand der damals noch kleinen Gemeinschaft und die Bemühung um diese Solidarität mit allen Geschöpfen ist auch jetzt spürbar.

    Das zweite Lied, das angestimmt wird ist irgendwas mit Home, Heart, Song, Voice. Jedenfalls zu Hause und Zugehörigkeit und ich fühle, erstens, dass ich hier nicht zu Haus bin und zweitens, dass das für andere seit Dekaden funktioniert.

    Danach gibt’s Kleingruppen uein kurzes „Wer bist Du“. Jetzt in diesem Moment. Und da ist es wieder. Wieviel Hülle, Maske und Schutzbehauptung behalte ich und wieviel Verletzbarkeit kann ich im Vertrauen zulassen? Abrüstung ist das Stichwort. Was, wenn ich mich zeige in meinem Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit? Was, wenn ich das Bedürfnis nach Wasser, Nahrung und medizinischer Grundversorgung an mich heranlasse? Würde ich dann andere Entscheidungen treffen, über die Operation in Gaza, der Ostukraine oder in Indien!,Pakistan? Könnte es sein, dass wenige Menschen einen Modellversuch wagen in ehrlichem Kontakt, Vertrauen und Solidarität und so eine Ausstrahlung haben könnten auf die größere, gar planetare Gemeinschaft? Bin eher in der Lage Frieden zu halten, wenn ich befriedigt bin? Wenn Liebe nichts mehr wäre, dass eifersüchtig verteidigt und ängstlich versteckt werden müsste?

    Nach der Gruppe jedenfalls fühle ich mich allein und fehl am Platz. Was mache ich hier eigentlich? Ich beschließe einen kleines Risiko einzugehen und schleiche mich nach dem Mittagessen in die Küche, wo der Abwasch wartet. „Ich bin zwar nicht eingetragen, sage ich zu Kevin, aber wenn er mir die Abläufe zeigen würde, wäre ich froh etwas beitragen zu dürfen. Und… Tatsächlich aus vertrauensvoller Verletzbarkeit wird Verbindung und mit jedem Teller, den ich trockne, weicht die kleine, harte Kugel der Selbstbezogenheit ein wenig weiter auf.

    Danach habe ich mir den See verdient und ich begeistere zwei Frauen für ein spontanes Bad. Bald ist es Zeit für den großen Kreis am Nachmittag. Wer Beziehung will muss reden und wenn viele teilhaben sollen, geht das am besten im Kreis. Einer in die Mitte und schon wird das Thema des einen, Information für 100 Menschen. Dankbarkeit, Schmerz, die Erfahrung von Sexualität zu dritt, all das darf hier reflektiert, dargestellt oder schlicht geteilt werden. Allerdings nur verbal. Die Zeiten der Performances sind eher vorbei. Es hätte ein ruhiger Forumsnachmittag werden können, wenn nicht die schöne und unglaublich leidenschaftliche Ayda neben mir gesessen hätte. Heute aber, macht sie kein sexuelles Angebot und ruft nicht zu leckerem Essen, sie steht stattdessen einfach da und erklärt unter Tränen, dass sie kaum mit Menschen sprechen kann. Zu nahe sind ihr das Leid in Gaza und diese schöne Frau wirkt einfach traurig und ihr Freund wird mein Gefühl .später bestätigen, in gewisser Hinsicht gebrochen. Als sie sich wieder setzt, berühre ich sie sanft an der Schulter. Keine Reaktion. Ihr Freund fragt, wer ich bin und da erkennt auch Ayda mich. Plötzlich ist sie wieder da und ich frage nach ihrer Tochter. Die inzwischen in Berlin lebt. Das denke ich, ist eher Trost als alles, was ich sagen könnte und ich kann als Vater fühlen, wie sie als Mutter ein wenig Kraft aus der Tatsache schöpft, dass wenigstens ihre Tochter nicht unterernährt oder versehrt ist, sondern selbstbewusst ihren Weg sucht.

    Vielleicht sind Menschen wie Neuronen und da, wo sie in offenen Dialog treten, da ist es, als pflanzte sich eine Information von einem Ende durch das ganze Netzwerk fort, bis alle eben Teil haben, am Wohl und Wehe des anderen.

    Mit Aydas Freund Riko gehe ich anschließend schweigend mit Wasser und Blume zum Steinkreis. Welcher Stein ruft mich? Ich lande bei dem Stein für Bewusstheit, in der es keine Gewalt gibt.

    Nach dem Abendessen ist mir nicht mehr nach Gesellschaft und so streife ich über das Land und vervollständige meine lückenhafte, geistige Karte. Noch viele Gespräche hat dieser Tag geschenkt, von denen zu erzählen, die Worte mir knapp werden. Nun lege ich mich nieder und hoffe in der Hitze schlafen zu können.

  • Tag 2 – Kapitalismuskritik der Kröten

    Ich packe zusammen, hänge noch das Handtuch auf, damit es trocknen kann. Lea und Maren sind schon lange weg. Dann schulter ich den Rucksack, klappe die Tür auf und hinter mir wieder zu. Sie wird unverschlossen bleiben. Noch beim Frühstück denke ich: „Die sind hier iwie anders druf wa.“.

    Als ich zahlen will passsiert es … Nicht. Stattdessen… Viel aufgeregtes Gerede und am Ende? Nichts. Man, nein Frau will weder für Kaffee noch fürs Schinkencroissant (eine nicht ganz so internationale Spezialität portugisischer Prägung) Geld haben. Sie lachen unnachgiebig und ich fühle mich beschenkt. Von Portugal.

    U-Bahn, Zug und schließlich der Bahnhof in Funcheira erscheinen wieder, wie das Gaukelspiel eines Magiers, ohne, dass ich viel dazu getan hätte. Quasi ständig finden sich hilfreiche Geister, die irgendetwas für mich organisieren, klären oder schlicht die nicht funktionierende Zugtür händisch „aufschließen“? Ja! Wahrlich!

    Ähnlich zuverlässig taucht Bernd auf. Wie vor sieben Jahren. Nur ist er jetzt ebenso wie ich sieben Jahre älter. Ich erinnere mich. Er sich dagegen nicht. Die Asymmetrie dieser „Liebesbeziehung“ wird mir zum ersten mal an diesem Tage deutlich. Für mich ist Tamera ein wichtiger Teil meiner Vergangenheit, für Tamera bin ich ein Gast unter vielen.

    Mit im Auto sitzt noch David, der erzählt er habe aufgrund einer Schlägerei am Gate in Brüssel seinen Flug verpasst und auf dem Ersatzflug zufällig neben einem portugisischen Politiker gesessen und ihn über „Landschaft als Wasserspeicher“ unterrichten können. Dieser 70jährige Mann kämpft zwar gegen den altersbedingten Muskelabbau angesichts der Aufgabe, die Landschaft zu pflegen, hat aber eine Sache, für die er sich begeistert und das wohl so sehr, dass sogar Entscheidungsträger davon beeindruckt sind.

    Angekommen, sagt Bernd ich solle meinen Rucksack ruhig am Guestcenter stehen lassen. Jetzt erstmal veganes Essen und wie lecker das ist. Man kann Grünkohl tatsächlich hauchdünn panieren und dann frittieren!

    Beim Essen leistet mir AJDA Gesellschaft, die das Kunststück vollbracht hat, aus den Initialien vier völlig gewöhnlicher, deutscher Namen eine arabisch klingende Kurzform zu kochen. Es sind schnell soviele Gespräche, dass ich dringend etwas schweigen muss und so ziehe ich mich an den See unter die Bäume zurück.

    Später beschließe ich einfach nackt in den See zu springen, naja zu krabbeln, aus Rücksicht auf meinen Fuß. Irgendwann im Laufe des Tages werde ich Martin kennen lernen, der mich darüber aufklärt, dass wir aus Rücksicht auf die Nachbarn nicht mehr nackt in Teiche springen. „Na … Wo ist Eure revolutionäre Energie geblieben?“, schmunzle ich in mich hinein. Doch der Reihe nach. Der See ist ein Erlebnis ständig warm und dann wieder kühl, durchwachsen mit Pflanzen, die mich bald streicheln, bald festhalten, wie die Fingerspitzen bzw. Schenkel einer Liebhaberin. Danach fühle ich mich angekommen.

    Während ich, wie der Schinken aus dem Croissant von heutemorgen an der Luft trockne fallen mir einige Dinge auf. Insekten, Massen davon, Vögel und… Richtig! Kröten. Sie alle scheinen sagen zu wollen: „Ihr seid auf dem Holzweg mit diesem Kapitalismus.“ Wo die Natur Ressource wird, statt heilig zu bleiben, haben wir schließlich Steingärten und Windschutzscheiben, auf denen auch nach langer Autofahrt kein Insekt mehr sterben muss, weil wir sie schon viel früher haben verhungern lassen. Hier dagegen ist das Netz der Nahrung noch deutlich vielschichtiger.

    Dann. Mein Fuß! Ich steh‘ drauf! Nackt! Ohne Aircast. Frei nach Hilde Humin könnte ich sagen: „Und ich setzte meinen Fuß auf den Boden und spürte… Er trug!“ Könnten wir, wenn wir unseren Körpern besser zuhörten, so viele Maßnamen uns ersparen? Wenn ich einfach spüren würde, wann der Fuß trägt und wann er Schmerz hervorbringt? Wie weit haben wir uns entfremdet, von Körper, Natur, dem Eros und der „heiligen Matrix“ in der Natur?

    Besagter Martin bringt eine weitere Lebensgeschichte von getrennten Eltern, die sich hier kennenlernten und nun für ein gemeinsames Kind Sorge tragen. Es ist eben nicht alles Gold was glenzt. So heilig der Eros auch sein mag, so unheilig ist bisweilen, was Erwachsene in einer fatalen Mischung aus Möchtegernidealismus und emotionaler Überforderung für ihre Sprösslinge daraus kochen.

    Zurück beim Gästehaus stelle ich fest, dass ich nicht nur meine Uhr am See, sondern auch meinen Rucksack sonst wo, habe liegen lassen. Wie Hans im Glück von schwerer Last und all zu kleinlicher Zeiteinteilung befreit, genehmige ich mir eine Tasche frisch gepressten verdünnten Orangensaftes und freue mich, aller Sorgen ledig zu sein. Diverse alte Bekannte und neue Unbekannte kommen, reden einige Sätze und ziehen dann weiter. Mitten in der Gemeinschaft beschleicht mich das unangenehme Gefühl nicht dazu zu gehören, in Mitten von Menschen, letztlich allein zu bleiben.

    Nach dem Abendessen ist dann „Kneipe“ und damit wieder eine Möglichkeit, alte und neue Gesichter zu sehen. Ich halte mich an einer Mandarinenschorle fest und begrüße Uri, den ich nur aus dem Film „Village of Lovers“ kenne. Zusammen mit der aus Palästina stammenden Ayda hat er noch Anfang diesen Jahres einen Dialog über Israel-Palästina gemacht, um Verständigung zu schaffen. Mit Trauer in der Stimme, der ich mich nicht entziehen kann, sagt er: „Ich glaube, wir haben mit all der Friedensarbeit nichts errheicht.“ Und weiter fragt er: „Woher soll in diesen Zeiten Hoffnung auf Frieden kommen?“ Ich bemerke, wie ich etwas kluges oder einfach noch schrecklicheres sage, nur um den Schmerz der unterernährten, verstümmelten und oder in dauerhafter Angst lebenden Kinder nicht spüren zu müssen. Schließlich umarmen wir uns für einen kostbaren Augenblick.

    Als ich mich trollen will, werde ich auf dem Weg nach Hause überfallen. Erst sind sie nur zu dritt, dann bald ein halbes Duzend. Kinder! Und sie löchern mich mit Fragen. Hier exemplarisch die wohl mutigste: „Aber, wenn Du kacken musst?“ Ich erkläre, dass das ganz gut geht, so ohne gucken. Er lässt nicht locker und setzt nach: „Aber wenn Du im Flugzeug kacken musst und es da wackelt?“ Aber auch ich habe fragen über die „Schule der Hoffnung“ „Ecole d’esperanza“, die diese Kinder hier besuchen…

    Schließlich kann ich mich der niedlichen Plagegeister entledigen und finde Mittels GPS, ganz ähnlich wie beim Geocaching, mein Bett. Uhr und Rucksack sind inzwischen auch wiedergefunden, der Blog fertig und ich darf schlafen gehen.

  • Tag 1 – Was der alles kann

    Schreiben? Im stillen Kämmerlein? Nicht meine Stärke. Ich brauche Input und Erlebnis, vielleicht auch Herausforderung, oder einfach das Mindestmaß an Adrenalin, das sich einstellt, wenn der Zug, mit dem man das Flugzeug erreichen will, wegen einer „größeren Oberleitungsstörung) plötzlich stehen bleibt.

    Dann läuft aber alles weiter. Am Ende tritt die Langeweile ein, die sich am Gate einstellt.

    Im Flieger treffe ich einen Rollenspieler, Pfleger will er werden. Eine Dreistundenfreundschaft. Am Ende habe ich gelernt, was er so liest, nicht aber, wie er heisst. Man wird sich nicht wieder treffen.

    Lissabon oder Lisboa, wie

    man hier sagt … Vom Zeitpunkt der Landung beginnt die Magic. Ich spreche die Sprache nicht, kenne die Umgebung nicht und werde denn noch von einer Welle aus angenehm unaufdringlicher Hilfsbereitschaft an mein Ziel getragen. Flugzeug, Bus, Flughafengebäude, Metro… Das alles fließt an mir vorbei, wie im Zeitraffer, während ich nicke, danke und laufe. Der U-Bahnticketautomat, der kaum barrierefrei ist, wird mir eben so erklärt, wie die Anzahl Stationen, die ich fahren muss und hier zeigt sich der Vorteil des Platformkapitalismus amerikanischer Prägung. Visa, Apple iPhone, Google Maps, all das ist für alle so alltäglich, dass Kommunikation problemlos auch fast ohne Worte und Blicke funktioniert. Wo der Mensch begrenzt wird, übernimmt die Technik, wo Sprache endet hilft der Google-Translator und Chat GPT hilft freundlich und gewohnt militärisch zackig, die Gate Nummer für den Flug zu finden. Nein, abgewöhnen kann ich ihm das soldatische wohl nicht mehr.

    Die Ankunft im Hostel ist immer so ein Moment von „Willkommensein“ und Entspannung. Denkste.

    Etwas ratlos meint die Passantin, das ist das einzige hier. Frag‘ mal drinnen.

    Nur das drinnen niemand ist, außer … „Der Duft der Frau“. Und das plätschern einer Dusche. Sofort geht das Kopfkino an, aber erstmal stolpere ich durch ein vollgestelltes Wohnzimmer, finde Küche und Eben das Bad mit der duschenden Frau, aber weder Rezeption noch Bett. Der Fuß, den ich mir auf meinem ersten Marathon ohne Vorbereitung vor Wochen gebrochen hatte, sagt mir jetzt, dass ich dafür keinen Deichmannbüroschuh hätte verwenden sollen. Schmerz knippst das Kopfkino aus und lässt mich schwer auf das Sofa sinken. Der Magen wiederum sagt, dass es eine weitere Istwert-sollwert-Abweichung gibt, die ich mich entweder enscheiden kann um diese späte Uhrzeit zu ignorieren, oder … Google …

    Ich muss das kurz erklären. Wenn man behindert ist und das war Häuptling Brokenfoot gleich doppelt, gibt es immer ein gewisses Risiko des Scheiterns. Google Daten sind fehlerhaft, das Smartphone alle, der Fuß zu schmerzhaft, oder die Leute hassen Touristen. All dies ist unwahrscheinlich aber möglich. Und so gab es die Frage, ob ich meinen Hunger einfach ignorieren sollte. Aber das mit dem Ignorieren von Körpersignalen habe ich vor Wochen teuer bezahlt und so erinnert mich der Fuß an die Bedürfnisse des Magens. Schon toll, wie die Gemeinschaft der Organe und Körperteile für einander sorgt und Partei ergreift. Als ich fertig mit Googeln bin erhebe ich mich, schleiche nochmal durch die kleinen Räumlichkeiten und finde einen Raum mit zwei Stockbetten. Mein Rucksack hat seine letzte Ruhe für heute gefunden. Als ich die Tür des kleinen Dorms zuklappe, stehe ich ziemlich unerwartet im Flur und … Jepp. Das Kopfkino hat nicht zu viel versprochen. Es hat aus der langen Dauer des Duschplätscherns und dem Duft des Duschgels abgeleitet, dass es sich um eine junge Frau nach größerer körperlicher Anstrengung handelt. Und da steht sie nun. Etwas erschrocken, aber prinzipiell freundlich. Lea, 24 wandert mit einem 24 kg Rucksack durch Portugal und zieht morgen nach Malle weiter, wo sie, „Kopfkino aus!“ ihren Freund trifft. Später beim Stockbettgeflüster mit Maren und Lea werde ich noch lernen, dass sie kein Rückflugticket hat, während ihre Ex-Schwiegereltern auf ihren vierjährigen Sohn aufpassen. Urteile erst über jemanden, wenn Du 42 km in seinen völlig ungeeigneten Deichmanntretern gelaufen bist.

    Dass ich den Rucksack allein zurück lasse, fühlt sich trotz fehlender Türverriegelung natürlich an und so gerät der Weg zum Restaurant zur völlig normalen Unternehmung in fremder Umgebung powered by Google.

    Angenehm finde ich immer wieder das Zurückgeworfensein auf die unteren Ebenen der Maslow-Pyramide. Schutz, Nahrung, Gesellschaft mit wohlduftenden Frauen. Entsprechend sind der Mensch in den netten, kleinen Restaurant und ich uns nach kurzem Dialog einig und so gibt es Brot, Oliven, Schweinemedallions, Reis und auch international, Pommes und … Wasser. Auch hier ein Wort der Erklärung. In Portugal essen die Leute Fleisch oder Fisch. Lahm und Blind wie ich bin, werde ich jetzt nicht anfangen, meine Ernährungspräferenzen darzulegen. Ich bin schon special genug und wo ich mir die Illusion erhalten kann, da füge ich mich gerne unauffällig ins Straßenbild ein und esse halt draussen Fleisch, um die nächsten acht Tage in tameranischer Kooperation mit allem, was atmet, vegan zu leben. Auf dem Rückweg muss ich einige Überzeugungsarbeit leisten, um nicht von einem der anderen Gäste per Anhalter mitgenommen zu werden. Schließlich komme ich wieder zu Hause an.

    Lea und jetzt auch Maren, di mit mir das Dorm teilen, sind noch wach und anwesend. Es folgt der Austausch der Reiseabschnittsgefärten, die morgen alle unterschiedlichen Zielen entgegen gehen. Dauerhaft bleiben wird hier keiner von uns. Zufrieden und tatsächlich ein wenig stolz schlafe ich ein, nachdem ich meine Kreditkarte temporär gesperrt habe. Selbst wenn di Tür offen bliebe, wäre das maximale Verlustrisiko jetzt 80 Euro. Das ist angesichts des erwarteten Schlafes ein attraktives Chancerisikoprofil. Ich wusste, dass ich all das schaffen würde, es aber tatsächlich zu tun und zu erleben, ist etwas völlig anderes als davon zu lesen oder ein Video zu schauen. Deshalb mein Rat, weg von der Glasplatte und raus in die Welt und das Erleben.

    Gute Nacht.