Ich liege im Bett und will nicht aufstehen. Nichts, was da heute auf dem Programm steht inspiriert mich. Die Blase allerdings läßt sich von meiner latent depressiven Stimmung nicht anstecken. Sie schafft eine Vision für die ganze Gemeinschaft meiner Organsysteme und Körperteile. Sie alle wirken zusammen, für einen Körper ohne Druck. Im Dienste der Wachheit…
Das Frühstück verläuft erfreulich, denn ich treffe sowohl die deutsche Ajda mit den vielen Namen, als auch Miguel mit den wenigen Worten wieder. Zusammen ergibt das eine Mischung von Freude und Weite, die mich das nächste Israel- Palästina Pannel wird ertragen lassen. Ich freue mich einfach, Menschen wieder zu treffen, von ihnen erkannt zu werden und sie wieder zu erkennnen. Vertrautheit. Vertrauen, Kontakt, Solidarität. „Und sie erkannten sich – Das Ende der sexuellen Gewalt“ So ein Buchtitel von Sabine und Dieter. Ich ahne, was das bedeuten könnte.
In der Morgenveranstaltung entschuldigt sich Martin für seine heftige Reaktion von gestern, nur um gleich nachzulegen und nochmal zu bestätigen, er habe inhaltlich recht. Hier wäre der Punkt gewesen, die Frau von gestern nochmal in die Mitte zu holen denke ich, muss aber hinzufügen, dass es gestern noch einen Kreis zur Nachberbeitung des Kreises gegeben hat. Wem bei all diesen Kreisen schwindlich würde, der wäre jedenfalls bei mir in guter Gesellschaft. Und auch wer meinte, es könne vorkommen, dass man nicht voran komme, bei all den Kreisen, auch dem gäbe ich meine Zustimmung. Also… Mehr Palästina, mehr Ayda und weniger Uri. Schließlich ruft Ayda zum Kampf, wenn auch gewaltfrei. Egal. Am Ende dieses Pannels erreicht mein Deprimeter den orangeroten Bereich. Jetzt noch Kleingruppe? Ernsthaft. Meine Töchter würden schlicht sagen: „OMG als ob!“
Ich überwinde mich und die Beiträge sind tatsächlich in ihrer Vielschichtigkeit schwer wieder zu geben. Im Gedächtnis bleibt Freya, die früher die Pferde gemacht hat. Eine schöne, stille Frau, die mir schon vor sieben Jahren aufgefallen war. Sie lebt nicht mehr hier. Liebe sagt sie, sei verschieden, Menschen Individuen und nicht alle erfüllten die hohen Ansprüche des kollektiven Dogmas. Uff…
Bei Mittagessen sitze ich mit Martin und Alex zusammen und quatsche über die Börse und Cryptotrading. Endlich mal was produktives und überhaupt… Alex hat mit seinen 60 Jahren diverse Firmen gekauft, großgezogen und auch dann und wann wohl vor die Wand gefahren, wie er erzählt. Trading mache er eigentlich wegen der Selbsterfahrung mit Gewinn und Verlust und ansonsten, scheint er finanziell frei auf Malle zu residieren. Depression gibt’s halt auf unterschiedlichem Niveau. Das aber war sein Wort, nicht meines. Gleichzeitig … Wirkt der Mann inspirierend und fröhlich. Na, man schaut ihm halt nur vor den Kopf. Er lädt mich ins Cafe ein, aber ich brauche eher kühles Nass, als veganen Kuchen.
Und so verbringe ich die Zeit am See. Und…. Tatsächlich! Zwei junge Menschen differierenden Geschlechts, die … Oh, mein Gott! Beim heiligen Eros! Vorsichtig flirten.
Dem Rhythmus folgend… Gibt’s mal wieder den 16 Uhr Kreis und für den Chor haben sie hier immer noch eine goldene Schallplatte verdient meine ich. Dann aber… Kommt er auf die Bühne. Angekündigt als das göttliche Licht, welches sich selbstverständlich in jedem von uns manifestiert, wird er immer noch mit seinem nicht bürgerlichen Rufnamen Delon angesprochen.
Die Stimme brüchig, die Jahreszahlen eher großzügig schätzend als präzise rechnend, wirkt er anfangs noch etwas unsortiert. Doch mit jedem Satz den er spricht ist ein Feuer unverkennbar und trotz eines geschwächten Körpers und eines um Klarheit kämpfenden Geistes ungebrochen. Dieser Mann mag die 80 Jahre geknackt haben, die Inspiration, die ihn seit 1976 getragen hat, ist trotz langer Krankheit das erhebenste, was ich in diesen vier Tagen erleben darf. Da sitzt sie, die Liebe fürs Leben, den Eros, die heilige Matrix und eine Erde frei von Gewalt, Angst und Eifersucht, man nimmt es ihm irgendwie ab. Um so deutlicher drängt sich ein Gedanke in den Vordergrund meines Bewusstseins.
Wo ist der Eros? Am See habe ich zwei Menschen flirten sehen. Aber sonst? Ich kaue die Frage herum und dann halte ich das Mikro in der Hand und Frage: „Mystische Erlebnisse und der Eros verblassen im Alltag. Was kann man tun?“
Dieters Antwort von Liebe getragen, wohl aber mit etwas Humor und Ironie gewürzt, klingt so simpel wie einleuchtend. „Ihr müsstet es einfach tun.“ Jemand will wissen, wie eine „koherente Gruppe“ von 30 Leuten Realität werden könne. Und seine Antwort lautet ähnlich. Ein halbes Jahr unbedingter Hingabe und klarer Solidarität für einander. Ich paraphrasiere hier. Am Ende wird gesungen und die Leute stehen und wippen mit. Insgesamt fühlt sich das alles leichter an.
Dieser Mann hat tatsächlich eine religiöse Tiefe. Der Kontrast zum tränenschweren Herumrühren der letzten Tage könnte nicht schmerzhafter und erhebender zu gleich sein.
Nach der Veranstaltung weiss ich wo ich hingehöre. Der Steinkreis. Ich bin – warum eigentlich? – allein. Alles schweigt. Die Sonne brennt mir ins Gesicht. Die Hitze des Steins läßt mich noch das letzte Bisschen Palästinajammern ausschwitzen und dann wird es still. Was ist zu tun? Wo ist meine Aufgabe für die nächsten Jahre. Die Vögel, Grillen und sonstigen Tiere machen aus diesem kargen Stück Land etwas anderes als eine Wüste. Für mich aber ist es ein Wüstenmoment.
Treu und pünktlich beim Abendessen habe ich ein Gespräch, dass ich gerade kaum erinnere. Danach schleiche ich unschlüssig über den Campus. Hundesanktuarium verpasst, wilde Party im Nachbartal in Sachen Fuß keine gute Idee und gerade sowieso nicht mein Ding. Also… Schleiche ich ohne große Lust auf weiteren menschlichen Kontakt an der Bar vorbei. Und ja richtig. Da sind sie wieder und haben lauter Fragen. Ich könnte einfach Stunden lang mit den Kindern hier sprechen. Dann aber höre ich Bruno weinen und obwohl er ständig von seiner Großmutter weg getragen wird, führen mich meine Schritte zu seiner Mutter. Wenig später sitze ich mit drei Generationen inklusive dem sieben Monate alten Bruno am Tisch. Die Großeltern Ulrike und Gottfried. Zwei der fünf Kinder leben hier und eben Frau und Bruno. Der Abend wird sowohl lustig als auch intereessant und Gottfried ist einer der inspirierensten älteren Herren, die ich getroffen habe.
Er begleitet mich noch Richtung zu Hause und ich kehre Heim mit einem zutiefst zufriedenem inneren Kind, das erleben durfte, dass es gesunde, intakte Familien in Tamera gibt und geben kann/darf. Und wie sagte Gottfried so schön. Wir sind seit 54 Jahren verheiratet. Wir haben unsere Beziehung geöffnet, aber das ist gerade nicht sehr relevant. Amen.