Tag 8 – Open Space

„Der heilige Gral des Mannes ist der Schoß der Frau.“. Frei zitiert. Dieter Duhm.

Ich komme ob meiner Verpflichtung gegenüber meinen Leserinnen knapp zum Frühstück. Doch das Glück ist mir gewogen und schenkt mir die Gesellschaft zweier Frauen, die ich nun definitiv auf meine F***liste muehlscher Fasson gesetzt hätte, wäre ich Otto der Große in diesem System. Louise ist eine wirklich wohlgestaltete Britin, die mal Software verkauft hat und sowohl in Erscheinung als auch stimme die besten Voraussetzungen dafür mitgebracht haben dürfte. Susan dagegen ist deutsche Wahlschweizerin, die so gut Englisch spricht, dass ich nie auf die Idee gekommen wäre, mit ihr Deutsch zu sprechen. Sie wirkt jünger als sie ist, ist geistig ziemlich beweglich und hat früher mal in Berg- und Forstwirtschaft promoviert. Immer wieder bin ich begeistert über die Talente, die hier zusammen kommen.

Nachdem ich die Standardfragen – Blindheit, Fuß, Familienkonstrukt abgefrühstückt habe, sage ich deutlich, ich verstünde wohl dass man von jemandem, der ein drittes Ohr auf der Stirn trüge, als erstes Wissen wolle, wie lange er es habe, warum und woher und ob es weh tue und natürlich, ob er nun besser höre. Dieser vorgestellte Mensch habe im Hintergrund eine reiche Persönlichkeit, die durch dieses prominente Merkmal oft nicht bemerkt würde. Mein Vergleich bringt mir Sympathie, Verstehen und das helle Lachen zweier Frauen ein. Das Gespräch wendet sich, wie so oft der Sexualität zu. Hier wiederholt sich ein Muster. Die beiden Frauen experimentierten zwar gerne, suchten aber eigentlich eine Partnerschaft mit tiefer Vertrautheit. Für mein Familienkonstrukt bekomme ich ein paar Ohs und Ahs. Ich biete an, die Teller der Lads zu spülen und habe auch hier das Überraschungsmoment auf meiner Seite. „Ein Blinder, der etwas für mich tut.“

Anschließend mache ich mich auf eine meiner langen, langsamen Wanderungen… Unterwegs nimmt mich Maike in Birgas Elektro-Car mit. Das entweder sehr kurze oder rechts hochgeschlitzte Kleid gibt etwas Bein frei. Sie ist im Termindruck. Ich steige aus und frage mich, ob das früher oder heute diese spontan/animalische Begegnung hätte werden können. Egal. Wenn ich schon keine Frau erobern will, dann eben die Landschaft. Diesen stillen, heiligen Ort.

Auf meiner Suche nach der Gralsburg/dem Steinkreis versagt das GPS wieder kläglich. Ich versuche es ohne Technik und sperre meine Ohren auf, rieche und taste mit Füßen und Stock. Es öffnet sich kein Weg. Vom Heulen eines einsamen Underdogs weiss ich, wo der Steinkreis liegen müsste und laufe denn noch drum herum. Das Buschwerk öffnet sich nicht. Der heilige Schoß bleibt verschlossen. Du bist zu früh, die hundert Jahre sind nicht um. Dornröschen schläft noch. Das Schößchen in Hößchen. Für Dich gibt’s nur Dornen. Der Aircast wird in seinem Schaumstoff soviel Pflanzenmaterial aufsammeln, dass ich beim Chirurgentermin etwaige Fragen werde beantworten müssen.

Ich entscheide mich für den Weg, den alle frustrierten Männer wählen, wenn Technik, Intuition und Geduld nicht zum Ziel führen. Mit Louise und Susan sprach ich noch davon. Einige Männer kriegen den Großteil der Frauen ab, der große Rest geht leer aus und wird, um die Frauen und Kinder der Top Dogs zu schützen und wegen seiner Frustration aufhetzbar, als Soldat verheizt. Wenn wir den Krieg beenden wollen, müssen wir, da ist es wieder, dafür sorgen, dass auch die von der Evolution Ausgelesenen Underdogs, die Wärme einer weiblichen Umarmung, die Weichheit der Brüste, die Zärtlichkeit der Lippen und das Umschlossensein im Schoß erfahren können. Andernfalls wird aus ihrer sexuellen Kraft, die steife Ausrichtung eines Gewehrlaufs. Die Männer wiederum könnten, wenn der Konkurrenzkampf weicher würde, Brüderschaft ohne Angst und Eifersucht haben. Das Weib wäre für alle da und der Krieg unter Männern wäre beendet. dazu aber müssten wir etwas in einer „koherenten Gruppe“ etablieren, dass den Gesetzen Darwins grundlegend zu wider liefe. Dawkins beschreibt die Natur in seinem legendären Werk „Das egoistische Gen“ als „Zähne und Klauen, rot wie Blut“. In River out of Eden eröffnet er das vierte Kapitel wie folgt:

„Die Gesamtmenge an Leid pro Jahr in der natürlichen Welt übersteigt jede anständige Vorstellungskraft. Während der Minute, die ich brauche, um diesen Satz zu schreiben, werden Tausende von Tieren bei lebendigem Leib gefressen, viele andere rennen um ihr Leben, wimmern vor Angst, andere werden langsam von innen durch raspelnde Parasiten verzehrt, Tausende aller Art sterben an Hunger, Durst und Krankheit. Es muss so sein. Wenn es jemals eine Zeit des Überflusses gibt, wird dieser Umstand automatisch zu einem Bevölkerungsanstieg führen, bis der natürliche Zustand von Hunger und Elend wiederhergestellt ist.“ „In einer Welt voller blinder physikalischer Kräfte und genetischer Replikation wird etwas Leid erleiden, etwas wird verletzt werden, etwas wird getötet werden. Und das ist alles. Es gibt keine Absicht dahinter, kein Böses und kein Gutes, nichts als blinde, erbarmungslose Gleichgültigkeit.“

Diese Passage illustriert die unerbittliche Realität der natürlichen Selektion, wie Dawkins sie beschreibt und macht deutlich, dass wir nicht nur den männlichen Konkurrenzkampf, sondern auch die weibliche Auslese überwinden müssten. Ob Dieter Dawkins gelesen hat? Daneben müssten wir, Dawkins folgend, die Population begrenzen, um den Kampf um Ressourcen unnötig zu machen. Wir müssten weiter, die Gier der Menschen stillen, durch die Erfahrung von Eros, Gemeinschaft, Geborgenheit und Freude. Wir müssten den Kapitalismus überwinden und den Eros von all seinen evolutionären Zwängen befreien, um ihn zu einer revolutionären Kraft zu machen. Junge Männer müssten freiwillig, wer Widersprüche findet, darf sie behalten, mit älteren, verletzten, unfruchtbaren, weniger attraktiven Frauen schlafen. Ebenso müssten Frauen, den Benachteiligten, die sexuelle Befriedigung zu kommen lassen, derer sie bedürfen. Kurz. Wir müssten, ganz freiwillig aus Nächstenliebe vögeln.

Der Eros in seiner Wildnatur aber ist präzise und gnadenlos. Optisch prüfen Weibchen die Muskelfettverteilung und somit die metabolische und physische Fitness, akustisch wird die Stimme auf Erkrankungen des Atemssystem gescannt, die Nase rastert gerade zum Zeitpunkt der Empfängnisfähigkeit das Imunsystem und schließlich wird im Gespräch geklärt, wieviel Gehirn sich der Mann zu unterhalten leisten kann. Mithin wird sein Jagterfolg deutlich.

Wenn wir den Krieg durch freie Liebe beenden wöllten, müssten wir Mutti Natur, soviel Bewusstheit und Menschenformung in die Suppe spucken, dass daraus ein kommunitärer Eintopf würde, den zu rühren es einer Menge Kreise bedürfte. Ob die Zeit dafür da wäre, weil man sich entschiede, weniger zu Arbeiten und aus dem kapitalistischen Hamsterrad auszusteigen? Der Erschöpfungszustand mancher Kommunaden und die immer wieder prekäre finanzielle Situation verdeutlichen, welche Kraftanstrengung ein solches Projekt erfordert.

Ich jedenfalls habe Momentan keine Frau und so schlage ich mich gegen Mutter Natur. Sie gewinnt. Selbst durch aggressive Sturheit bleibt das Buschwerk, wo es ist. Blind, allein, zerkrazt und mit gebrochenem Fuß erkenne ich meine Niederlage an. Ich lasse los. Gebe auf und da erscheint sie. Ein israelisch/arabischer Lockenkopf mit Ausstrahlung und Wärme in der Stimme. Sie zeigt mir den Weg und ich komme… Im Steinkreis an.

Ich kehre zurück in die Zivilisation und gönne mir nach dem Mittagessen noch Kuchen im Café. Was soll ich sagen? Essen ist der Sex des Alters. Als ich wieder gehen will, treffe ich Rainer, der vor Jahren hier war, sich als Tempeldiener und später als er wieder draußen war, als „männliche Hure“ verdingt hatte, und schließlich treu sorgender Familienvater geworden war. „Küssen?“ Passiert bei freier Liebe nicht. Alte Nuttenregel.“ Na dann, denke ich. Wir sind uns erstaunlich sympathisch. Er fordert mich auf zu einer politischen Auseinandersetzung zwischen Martin und der Frau zu kommen, die neulich im Forum wegen ihrer Äußerungen zur deutschen Kolonialgeschichte abgekanzelt wurde. Mein Interesse hält sich in Grenzen.

Als ich zurück komme, sitzt eben jene Frau im Gras, die vor einigen Tagen im Kreis davon berichtet hattedass sie ihre ersten fünf Liebesakte, falls diese so genannt werden dürfen mit fünf verschiedenen Männern hatte. Der folgende schmerzhafte Vaginismus mag dazu geführt haben, dass sie die gängige Praxis in Frage stellte. Heute arbeitet sie mit Frauen an der Heilung des weiblichen Schoßraumes. Sie ist schön, wie sie so offen über ihre Gefühle und Sehnsüchte spricht. Ihr Ex-Partner ist jetzt mit meinem Neurographieflirt von gestern zusammen. Und sie wünscht sich nichts mehr als eine tiefe Partnerschaft.

Im Forum bleibt neben Sarahs Rührung angesichts der vielen Menschen, die ihrer Einladung zur 30 Jahr Feier gefolgt sind, der zweiminütige Beitrag des Vaters der Tochter in Erinnerung, die damals mit ihrer Mutter die Gemeinschaft verlassen hatte. Die Mauer eines 23 jährigen Schweigens bekommt einen kleinen Riss. Wir singen: „Forget your perfect offering. There is a Crack in everything. That’s where the light shines through.“

Beim Abendessen treffe ich Louise erneut und habe eine wirklich lustige Zeit. insgesamt wird hier alles solange durchgekaut, bis es zum Bewusstseinsbrei wird, den wir Mutter Natur in den Topf spucken. Man sieht sich nicht nur zwei mal. Auch nach Jahren sind die Geschichten von damals relevant und die Kontakte lebendig.

Als ich nach dem Abwasch allein bleibe, frage ich mich, wie es mir jetzt ginge, hätte ich mit Louise, Susan, Maike, Eleonor und der Frau, deren Identität hier geschützt werden soll, geschlafen. Wäre mein Bewusstsein irgendwie kosmischer? Wäre die Information des heiligen Eros im planetaren Heilungsfeld aktualisiert worden? Trüge das irgendwie zum Weltfrieden bei? Oder wäre ich am Ende leer und unerfüllt, während lauter emotionale Feinheiten vom erotischen Friedenspanzer überrollt worden wären?