Abends war es warm, Nachts war mir kalt. Deshalb war an diesem Tag die erste Frage: „Wieviel Hülle brauche und will ich?“ Mit „Hülle denke ich, kann nicht nur Kleidung gemeint sein, sondern alles, was ich meinem Körper oder Selbstbild an Schichten hinzufügen, die nicht Teil des nackten Jetzts sind. „Ich bin…“, sind oft Aussagen über mich selbst. Ich selbst wäre auch, ohne dass drauf hingewiesen, erklärt oder behauptet werden müsste.
Ich entscheide mich für zwei Schichten Stoff, einen Buddha-Anhänger, einen Ring, einen Stock, ein iPhone, eine Sandale und einen Aircast. Lieber wäre mir barfuß im Tai Chi Dress. Aber der Fuß! Auch die zweite Bowl Frühstück fühle ich, ist eine Schicht drüber, zu viel des sehr leckeren.
Anschließend also Treffen in der Aula. Und hier sagt sie ihn, den Satz, der mich her gebracht hat, der mich immer wieder festhält. Er könnte lauten: „Zum Wohle aller Wesen.“, das Wäre buddhistisch/abstrakt. Hier wird’s körperlicher: „Im Dienste der Wärme, für alles was Haut und Fell (Federn und Schuppen, Chitinpanzer und Exoskellette hat). Nein, Scherz beiseite.
„Im Dienste der Wärme für alles, was Haut und Fell hat. Im Namen aller Kreatur.“ So stand es damals vor fast 40 Jahren an der Hauswand der damals noch kleinen Gemeinschaft und die Bemühung um diese Solidarität mit allen Geschöpfen ist auch jetzt spürbar.
Das zweite Lied, das angestimmt wird ist irgendwas mit Home, Heart, Song, Voice. Jedenfalls zu Hause und Zugehörigkeit und ich fühle, erstens, dass ich hier nicht zu Haus bin und zweitens, dass das für andere seit Dekaden funktioniert.
Danach gibt’s Kleingruppen uein kurzes „Wer bist Du“. Jetzt in diesem Moment. Und da ist es wieder. Wieviel Hülle, Maske und Schutzbehauptung behalte ich und wieviel Verletzbarkeit kann ich im Vertrauen zulassen? Abrüstung ist das Stichwort. Was, wenn ich mich zeige in meinem Bedürfnis nach Verbundenheit und Zugehörigkeit? Was, wenn ich das Bedürfnis nach Wasser, Nahrung und medizinischer Grundversorgung an mich heranlasse? Würde ich dann andere Entscheidungen treffen, über die Operation in Gaza, der Ostukraine oder in Indien!,Pakistan? Könnte es sein, dass wenige Menschen einen Modellversuch wagen in ehrlichem Kontakt, Vertrauen und Solidarität und so eine Ausstrahlung haben könnten auf die größere, gar planetare Gemeinschaft? Bin eher in der Lage Frieden zu halten, wenn ich befriedigt bin? Wenn Liebe nichts mehr wäre, dass eifersüchtig verteidigt und ängstlich versteckt werden müsste?
Nach der Gruppe jedenfalls fühle ich mich allein und fehl am Platz. Was mache ich hier eigentlich? Ich beschließe einen kleines Risiko einzugehen und schleiche mich nach dem Mittagessen in die Küche, wo der Abwasch wartet. „Ich bin zwar nicht eingetragen, sage ich zu Kevin, aber wenn er mir die Abläufe zeigen würde, wäre ich froh etwas beitragen zu dürfen. Und… Tatsächlich aus vertrauensvoller Verletzbarkeit wird Verbindung und mit jedem Teller, den ich trockne, weicht die kleine, harte Kugel der Selbstbezogenheit ein wenig weiter auf.
Danach habe ich mir den See verdient und ich begeistere zwei Frauen für ein spontanes Bad. Bald ist es Zeit für den großen Kreis am Nachmittag. Wer Beziehung will muss reden und wenn viele teilhaben sollen, geht das am besten im Kreis. Einer in die Mitte und schon wird das Thema des einen, Information für 100 Menschen. Dankbarkeit, Schmerz, die Erfahrung von Sexualität zu dritt, all das darf hier reflektiert, dargestellt oder schlicht geteilt werden. Allerdings nur verbal. Die Zeiten der Performances sind eher vorbei. Es hätte ein ruhiger Forumsnachmittag werden können, wenn nicht die schöne und unglaublich leidenschaftliche Ayda neben mir gesessen hätte. Heute aber, macht sie kein sexuelles Angebot und ruft nicht zu leckerem Essen, sie steht stattdessen einfach da und erklärt unter Tränen, dass sie kaum mit Menschen sprechen kann. Zu nahe sind ihr das Leid in Gaza und diese schöne Frau wirkt einfach traurig und ihr Freund wird mein Gefühl .später bestätigen, in gewisser Hinsicht gebrochen. Als sie sich wieder setzt, berühre ich sie sanft an der Schulter. Keine Reaktion. Ihr Freund fragt, wer ich bin und da erkennt auch Ayda mich. Plötzlich ist sie wieder da und ich frage nach ihrer Tochter. Die inzwischen in Berlin lebt. Das denke ich, ist eher Trost als alles, was ich sagen könnte und ich kann als Vater fühlen, wie sie als Mutter ein wenig Kraft aus der Tatsache schöpft, dass wenigstens ihre Tochter nicht unterernährt oder versehrt ist, sondern selbstbewusst ihren Weg sucht.
Vielleicht sind Menschen wie Neuronen und da, wo sie in offenen Dialog treten, da ist es, als pflanzte sich eine Information von einem Ende durch das ganze Netzwerk fort, bis alle eben Teil haben, am Wohl und Wehe des anderen.
Mit Aydas Freund Riko gehe ich anschließend schweigend mit Wasser und Blume zum Steinkreis. Welcher Stein ruft mich? Ich lande bei dem Stein für Bewusstheit, in der es keine Gewalt gibt.
Nach dem Abendessen ist mir nicht mehr nach Gesellschaft und so streife ich über das Land und vervollständige meine lückenhafte, geistige Karte. Noch viele Gespräche hat dieser Tag geschenkt, von denen zu erzählen, die Worte mir knapp werden. Nun lege ich mich nieder und hoffe in der Hitze schlafen zu können.