Ich packe zusammen, hänge noch das Handtuch auf, damit es trocknen kann. Lea und Maren sind schon lange weg. Dann schulter ich den Rucksack, klappe die Tür auf und hinter mir wieder zu. Sie wird unverschlossen bleiben. Noch beim Frühstück denke ich: „Die sind hier iwie anders druf wa.“.
Als ich zahlen will passsiert es … Nicht. Stattdessen… Viel aufgeregtes Gerede und am Ende? Nichts. Man, nein Frau will weder für Kaffee noch fürs Schinkencroissant (eine nicht ganz so internationale Spezialität portugisischer Prägung) Geld haben. Sie lachen unnachgiebig und ich fühle mich beschenkt. Von Portugal.
U-Bahn, Zug und schließlich der Bahnhof in Funcheira erscheinen wieder, wie das Gaukelspiel eines Magiers, ohne, dass ich viel dazu getan hätte. Quasi ständig finden sich hilfreiche Geister, die irgendetwas für mich organisieren, klären oder schlicht die nicht funktionierende Zugtür händisch „aufschließen“? Ja! Wahrlich!
Ähnlich zuverlässig taucht Bernd auf. Wie vor sieben Jahren. Nur ist er jetzt ebenso wie ich sieben Jahre älter. Ich erinnere mich. Er sich dagegen nicht. Die Asymmetrie dieser „Liebesbeziehung“ wird mir zum ersten mal an diesem Tage deutlich. Für mich ist Tamera ein wichtiger Teil meiner Vergangenheit, für Tamera bin ich ein Gast unter vielen.
Mit im Auto sitzt noch David, der erzählt er habe aufgrund einer Schlägerei am Gate in Brüssel seinen Flug verpasst und auf dem Ersatzflug zufällig neben einem portugisischen Politiker gesessen und ihn über „Landschaft als Wasserspeicher“ unterrichten können. Dieser 70jährige Mann kämpft zwar gegen den altersbedingten Muskelabbau angesichts der Aufgabe, die Landschaft zu pflegen, hat aber eine Sache, für die er sich begeistert und das wohl so sehr, dass sogar Entscheidungsträger davon beeindruckt sind.
Angekommen, sagt Bernd ich solle meinen Rucksack ruhig am Guestcenter stehen lassen. Jetzt erstmal veganes Essen und wie lecker das ist. Man kann Grünkohl tatsächlich hauchdünn panieren und dann frittieren!
Beim Essen leistet mir AJDA Gesellschaft, die das Kunststück vollbracht hat, aus den Initialien vier völlig gewöhnlicher, deutscher Namen eine arabisch klingende Kurzform zu kochen. Es sind schnell soviele Gespräche, dass ich dringend etwas schweigen muss und so ziehe ich mich an den See unter die Bäume zurück.
Später beschließe ich einfach nackt in den See zu springen, naja zu krabbeln, aus Rücksicht auf meinen Fuß. Irgendwann im Laufe des Tages werde ich Martin kennen lernen, der mich darüber aufklärt, dass wir aus Rücksicht auf die Nachbarn nicht mehr nackt in Teiche springen. „Na … Wo ist Eure revolutionäre Energie geblieben?“, schmunzle ich in mich hinein. Doch der Reihe nach. Der See ist ein Erlebnis ständig warm und dann wieder kühl, durchwachsen mit Pflanzen, die mich bald streicheln, bald festhalten, wie die Fingerspitzen bzw. Schenkel einer Liebhaberin. Danach fühle ich mich angekommen.
Während ich, wie der Schinken aus dem Croissant von heutemorgen an der Luft trockne fallen mir einige Dinge auf. Insekten, Massen davon, Vögel und… Richtig! Kröten. Sie alle scheinen sagen zu wollen: „Ihr seid auf dem Holzweg mit diesem Kapitalismus.“ Wo die Natur Ressource wird, statt heilig zu bleiben, haben wir schließlich Steingärten und Windschutzscheiben, auf denen auch nach langer Autofahrt kein Insekt mehr sterben muss, weil wir sie schon viel früher haben verhungern lassen. Hier dagegen ist das Netz der Nahrung noch deutlich vielschichtiger.
Dann. Mein Fuß! Ich steh‘ drauf! Nackt! Ohne Aircast. Frei nach Hilde Humin könnte ich sagen: „Und ich setzte meinen Fuß auf den Boden und spürte… Er trug!“ Könnten wir, wenn wir unseren Körpern besser zuhörten, so viele Maßnamen uns ersparen? Wenn ich einfach spüren würde, wann der Fuß trägt und wann er Schmerz hervorbringt? Wie weit haben wir uns entfremdet, von Körper, Natur, dem Eros und der „heiligen Matrix“ in der Natur?
Besagter Martin bringt eine weitere Lebensgeschichte von getrennten Eltern, die sich hier kennenlernten und nun für ein gemeinsames Kind Sorge tragen. Es ist eben nicht alles Gold was glenzt. So heilig der Eros auch sein mag, so unheilig ist bisweilen, was Erwachsene in einer fatalen Mischung aus Möchtegernidealismus und emotionaler Überforderung für ihre Sprösslinge daraus kochen.
Zurück beim Gästehaus stelle ich fest, dass ich nicht nur meine Uhr am See, sondern auch meinen Rucksack sonst wo, habe liegen lassen. Wie Hans im Glück von schwerer Last und all zu kleinlicher Zeiteinteilung befreit, genehmige ich mir eine Tasche frisch gepressten verdünnten Orangensaftes und freue mich, aller Sorgen ledig zu sein. Diverse alte Bekannte und neue Unbekannte kommen, reden einige Sätze und ziehen dann weiter. Mitten in der Gemeinschaft beschleicht mich das unangenehme Gefühl nicht dazu zu gehören, in Mitten von Menschen, letztlich allein zu bleiben.
Nach dem Abendessen ist dann „Kneipe“ und damit wieder eine Möglichkeit, alte und neue Gesichter zu sehen. Ich halte mich an einer Mandarinenschorle fest und begrüße Uri, den ich nur aus dem Film „Village of Lovers“ kenne. Zusammen mit der aus Palästina stammenden Ayda hat er noch Anfang diesen Jahres einen Dialog über Israel-Palästina gemacht, um Verständigung zu schaffen. Mit Trauer in der Stimme, der ich mich nicht entziehen kann, sagt er: „Ich glaube, wir haben mit all der Friedensarbeit nichts errheicht.“ Und weiter fragt er: „Woher soll in diesen Zeiten Hoffnung auf Frieden kommen?“ Ich bemerke, wie ich etwas kluges oder einfach noch schrecklicheres sage, nur um den Schmerz der unterernährten, verstümmelten und oder in dauerhafter Angst lebenden Kinder nicht spüren zu müssen. Schließlich umarmen wir uns für einen kostbaren Augenblick.
Als ich mich trollen will, werde ich auf dem Weg nach Hause überfallen. Erst sind sie nur zu dritt, dann bald ein halbes Duzend. Kinder! Und sie löchern mich mit Fragen. Hier exemplarisch die wohl mutigste: „Aber, wenn Du kacken musst?“ Ich erkläre, dass das ganz gut geht, so ohne gucken. Er lässt nicht locker und setzt nach: „Aber wenn Du im Flugzeug kacken musst und es da wackelt?“ Aber auch ich habe fragen über die „Schule der Hoffnung“ „Ecole d’esperanza“, die diese Kinder hier besuchen…
Schließlich kann ich mich der niedlichen Plagegeister entledigen und finde Mittels GPS, ganz ähnlich wie beim Geocaching, mein Bett. Uhr und Rucksack sind inzwischen auch wiedergefunden, der Blog fertig und ich darf schlafen gehen.